FAQ: Abstimmung über das Klimaschutzgesetz

Der Vorstand von Freie Landschaft Schweiz hat für die Abstimmung über das Klimaschutzzielgesetz Stimmfreigabe beschlossen. Das Ziel des Gesetzes – Netto-Null bis 2050 – ist richtig und wichtig. Das Gesetz gibt jedoch keine Auskunft darüber, wie dieses Ziel konkret erreicht werden kann, ohne die biologische Vielfalt, die Wälder und die Landschaft zu schädigen. Hier sind die wichtigsten Fragen, die sich stellen, und die Antworten von Freie Landschaft Schweiz.

Zuerst der Atomausstieg, jetzt Netto Null. Was heisst das konkret?

Konkret heisst das, dass wir die erneuerbaren Energien massiv ausbauen müssen. 2012 hat der Bundesrat unter Doris Leuthard dafür Ziele definiert. Damals sah man vor, dass bis 2035 rund 25 bis 40 Quadratkilometer Solarpanels und 350 neue Windturbinen im Land gebaut werden sollen. Ausserdem waren Gas- und Geothermiekraftwerke geplant. Jetzt, zehn Jahre später, sehen die Realitäten ganz anders aus.

Wie sind die aktuellen Realitäten im Zusammenhang mit der Umsetzung der Energiestrategie 2050?

Es gibt keine Geothermie-Kraftwerke, und Gaskraftwerke will niemand mehr. Ausserdem haben Bundesrat und Parlament unterdessen beschlossen, nicht nur auf die Atomenergie, sondern bis 2050 auch auf Gas, Heizöl, Benzin und Diesel zu verzichten. Damit braucht es viel mehr Erneuerbare Energien, um die Lücke zu stopfen. Es fehlen 25 Milliarden Kilowattstunden Strom aus den Atomkraftwerken, und es braucht zusätzlich rund 50 Milliarden kWh, die die Fossilen zu ersetzen. Das Parlament will daher jetzt 35 Milliarden kWh aus neuen Solar- und Windkraftwerken, die bis 2035 gebaut werden.

Wie viele Windräder und Photovoltaikanlagen sind nötig, um das neue Gesetz umzusetzen?

Um den Plan des National- und Ständerats zu verwirklichen, müssten wir innert der nächsten 12 Jahre nicht weniger als 7‘000 neue Windkraftwerke oder  weit über 250 Quadratkilometer Solarpanels zubauen. Das ist mehr als der Neuenburgersee. Und bis 2050 wären nochmals mehr Anlagen nötig. Die mit Steuergeldern hochsubventionierte  Windlobby „Suisse-éole“, die Propaganda für die Windenergie macht, sprach deshalb kürzlich von 4‘439 Windturbinen, die in der Schweiz Platz finden sollen.

Sind denn konkret so viele Windturbinen in der Schweiz geplant?

In den letzten Monaten haben mehrere Kantone ihre Pläne veröffentlicht. Im Kanton Luzern sollen 22 neue Windparks mit total 60 Windturbinen entstehen, im Kanton St. Gallen sind es 17 Parks mit rund 50 Turbinen. Die Flumserberge sind betroffen, aber auch der Sempachersee. Es ist zu erwarten, dass in allen Kantonen jeweils Dutzende Windparks geplant werden.

Hat es denn nicht im Jura und in den Alpen am meisten Wind?

Die Schweiz ist kein Windland. Wenn man dieselbe Windkraftanlage in der Schweiz oder in der Nordsee aufstellt, produziert die Anlage in der Nordsee etwa doppelt so viel Strom. In der Schweiz ist die Auslastung von Windkraftanlagen gering. Der neue Windpark am Gotthard hat sogar nur einen Wirkungsgrad von 10 %. Häufig stehen die Turbinen still. Auf der Hochebene der Jurassischen Freiberge oder im Rhoneknie bei Martigny gibt es mehr Wind, aber das sind die besten Plätze: Sie sind bereits besetzt. Der Nutzungsgrad (oder: Auslastungsfaktor) in der Schweiz wird bei 18% liegen, wenn viele Maschinen installiert werden. In der Nordsee liegt der durchschnittliche Auslastungsfaktor von Windkraftanlagen bei 38 Prozent.

Wo sind in der Schweiz die meisten Windparks geplant?

Im besonders windschwachen Kanton Zürich. Dort plant Regierungsrat und Baudirektor Martin Neukom (Grüne) neuerdings ganze 46 Windparks mit total 120 Windturbinen. Das sind mehr Windparks als im ganzen Jurabogen. Besonders gravierend ist der Umstand, dass 45 der 46 geplanten Windparks im Wald zu liegen kämen. Für jede einzelne Turbine, die bis zu 240m hoch wären, müsste ein Fussballfeld Wald gerodet werden.

Und die Biodiversität?

Um angeblich die Umwelt zu schützen, sollen Wälder gerodet werden. Der Wald ist der bedeutendste Rückzugsort für die Biodiversität. Eine Windturbine im Wald bedroht vor allem Vögel und Fledermäuse, aber auch Insekten. Die Rotorblätter drehen mit bis zu 400 km/h und erschlagen alles, was ihnen in den Weg kommt. Auch für den Menschen haben die Turbinen grosse Auswirkungen. Man verliert wichtige Naherholungsgebiete, und die Windkraftanlagen entwerten die Liegenschaften rund um einen Windpark.

Aber die Bevölkerung kann doch Windparks an der Gemeindeversammlung ablehnen?

Im Kanton Luzern ist ein Gesetz geplant, das den Gemeinden das Recht wegnehmen will, selber darüber zu entscheiden, ob bei ihnen ein Windpark geplant wird oder nicht. In anderen Kantonen wird das gleiche geprüft. Das Volk könnte so nicht mehr abstimmen. Die Gemeinde könnte nur noch Einsprache machen. Aber wir stellen im Moment fest, dass bei Gerichtsverfahren alle Windparks vom Bundesgericht genehmigt werden, egal wie gross der Schaden an der Umwelt ist. Die Energiestrategie 2050 geht allen anderen Interessen vor.

Windparks in Wäldern, Entmachtung der Gemeinden. Wer steht der Windkraft noch kritisch gegenüber?

Eine Studie der BKW hat letztes Jahr gezeigt, dass 50% der Bevölkerung Windkraftwerke generell ablehnen. Ist eine Windenergieanlage in der Nachbarschaft geplant, sind nur noch 29% vom Volk positiv gegenüber der Windenergie gestellt. Das sieht man auch an den letzten 20 Abstimmungen, die es in der Schweiz in den letzten vier Jahren zu konkreten Windkraft-Projekten gegeben hat. Drei Viertel der Abstimmungen konnten wir gewinnen. Es erstaunt nicht, dass die Windenergie-Lobby die Mitsprachemöglichkeit der Bevölkerung in allen Kantonen abschaffen will.

Trägt das eidgenössische Parlament der öffentlichen Meinung Rechnung?

Überhaupt nicht! Im Moment sind zahlreiche Vorstösse geplant, um die Ziele der Windenergie-Lobby durchzusetzen. Der „Windexpress“ beispielsweise will rund 100 Windturbinen sofort bauen lassen, indem den Gemeinden das Recht wegnehmen wird, Baubewilligungen zu erteilen. Neu wären die Kantone zuständig. Der Ständerat könnte dieses Gesetz in der Sommersession beschliessen. In die gleiche Richtung zielt das „Beschleunigungsgesetz“, das nach den Sommerferien vorgelegt wird. Am Schlimmsten sind jedoch die kürzlich gefassten Beschlüsse des Nationalrats.

Wie sind die Entscheidungen im Rahmen der Revision des Energiegesetzes zu beurteilen?

Die Resultate sind unfassbar. Der Bundesrat soll ermächtigt werden, die Anzahl Windturbinen festzulegen, die in der Schweiz gebaut werden sollen. Bis diese Ziele erreicht sind, erhalten alle Windturbinen „nationales Interesse“. Mit diesem Etikett genehmigt das Bundesgericht nämlich jede Windturbine. Ausserdem darf auf jegliche Schutzmassnahmen für die Bevölkerung oder auf Ersatzmassnahmen für die Natur verzichtet werden. Immerhin konnten wir dank der geschlossenen SVP-Fraktion und den Grünen sowie einigen Abweichlern in der SP und FDP verhindern, dass es bei Windkraftanlagen gar keine Interessenabwägungen mehr geben soll.

Besteht eine Gefahr für unseren Rechtsstaat?

Das Parlament reagiert in Panik. Es ist nicht mehr ausgeschlossen, die Verfassung ausser Kraft zu setzen und den Umweltschutz einfach beiseite zu lassen. Am gravierendsten ist die Zulassung von Windkraftanlagen in Wäldern. Auch die demokratischen Mitspracherechte der Bevölkerung und die Gemeindeautonomie  zählen nichts mehr.

Wie steht FLCH zum Klimaschutzgesetz?

Netto Null bis 2050 ist für die junge Generation ein Ziel, das wir erreichen müssen. Wir dürfen aber für den Klimaschutz nicht unsere Biodiversität, unsere Wälder und unsere Natur zerstören. Umwelt- und Klimaschutz müssen Hand in Hand gehen. Man darf nicht das eine gegen das andere ausspielen. Das Ziel des Gesetzes an sich ist sinnvoll. Der Klimawandel ist eine Tatsache und wir müssen unseren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Aber das Gesetz zeigt keinen Weg auf, wie dieses  Ziel im Einklang mit der Umwelt erreicht werden soll. Wir haben daher Stimmfreigabe beschlossen.

FLCH befürwortet das Ziel des Gesetzes, aber zweifelt an den vorgeschlagenen Massnahmen?

Das aktuelle Konzept, einfach den Ausbau der Erneuerbaren massiv zu erhöhen, kann schlimme Folgen für unsere Natur und Demokratie haben. Ausserdem kann es technisch nicht funktionieren, wenn man die Ausbauziele für 2035 einfach von 350 auf über 1‘000 Windturbinen erhöht. In Deutschland müssen Gas- und Kohlekraftwerke einspringen, wenn es wenig Wind gibt. Deutschland hat eine der höchsten CO2-Produktion pro Kopf in Westeuropa. Noch immer fehlt es in Europa an einer Speichermöglichkeit für grosse Mengen an erneuerbarem Strom. In diesem Punkt überzeugt das Gesetz nicht. Es sieht 2 Milliarden für den Heizungsersatz vor, zeigt aber nicht auf, wie der dafür nötige Strom umweltfreundlich und ohne fossile Gaskraft erzeugt werden soll.

Gibt es einen gangbaren Weg für die Strompolitik der Zukunft?

Die Stossrichtung der Energiestrategie 2050 stammt aus dem Jahr 2012. Unterdessen sind wir elf Jahre weiter. Es ist der Politik bis heute nicht gelungen, einen umweltfreundlichen Weg aufzuzeigen, wie wir die Energiewende schaffen. Nun steht der Entscheid an, auf die Fossilen zu verzichten. Man würde es sich zu einfach machen, einfach die Ausbauziele für die Erneuerbaren zu vermehrfachen und am bisherigen Weg festzuhalten. Stattdessen sollte man einen Schritt zurück machen und die Situation von einem unabhängigen Expertengremium neu beurteilen lassen. Wir brauchen eine aktuelle, sachliche Analyse, wie wir die Stromkrise, Klimakrise und Biodiversitätskrise gleichzeitig bewältigen können. Die idealistischen Pläne von 2012 sind aus der Zeit gefallen.