Naturschutz vor dem Untergang

Bundesrat Albert Rösti bestätigt, dass der Mantelerlass den Naturschutz praktisch abschafft. Staatsrechtler Prof. Alain Griffel beurteilt die Vorlage als klar verfassungswidrig. Freie Landschaft Schweiz verlangt das obligatorische Referendum gegen den verfassungswidrigen Mantelerlass Strom und prüft das Ergreifen des fakultativen Referendums.

In allen Stromproduktionsbereichen haben wir einen Vorrang gegenüber dem Naturschutz. Es ist ein Riesenfortschritt, dass (…) in der Güterabwägung gesagt wird, dass die Stromproduktion vor dem Schutzbereich zu werten ist, vor dem Naturschutz, vor der Ökologie.
Albert Rösti, Bundesrat, 19. September 2023, vor dem Ständerat

Dazu äussert sich der Staatsrechtler Prof. Dr. Alain Griffel der Universität Zürich wie folgt:
Ein solcher genereller Vorrang verstösst gegen die Bundesverfassung (BV), weil er Interessengewichtungen tangiert, die auf Verfassungsstufe verankert sind. Konkret: Art. 89 BV ermächtigt den Bundesgesetzgeber zwar, Grundsätze über die Nutzung einheimischer und erneuerbarer Energien festzulegen (Abs. 2), geht aber von der Gleichrangigkeit der Interessen an einer ausreichenden, breit gefächerten, sicheren, wirtschaftlichen und umweltverträglichen Energieversorgung aus (Abs. 1). Gemäss Art. 78 Abs. 2 BV geniessen Landschaften von nationaler Bedeutung einen vorrangigen Schutz, ebenso – nach Abs. 5 (Rothenthurm-Initiative) – Moore und Moorlandschaften von nationaler Bedeutung. Gemäss Art. 78 Abs. 4 BV muss der Bundesgesetzgeber bedrohte Arten vor der Ausrottung schützen, was ein hohes Gewicht des Schutzes der Lebensräume dieser Arten – also des Biotopschutzes – impliziert. Deshalb ist die Verschiebung dieser in der Verfassung vorgenommenen Gewichtungen zugunsten des einen und zulasten von anderen Interessen nicht Sache des Gesetzgebers (also des Parlaments unter Einschluss des fakultativen Referendums mit einfachem Volksmehr), sondern des Verfassungsgebers (also von Volk und Ständen aufgrund eines obligatorischen Referendums). Mangels Verfassungsgerichtsbarkeit ist es die Aufgabe des Parlaments selbst, die Verfassungsmässigkeit seiner Gesetze zu prüfen und keine verfassungswidrigen Regelungen zu erlassen.

Freie Landschaft Schweiz verlangt daher vom Parlament die Einhaltung der Verfassung und die Durchführung eines obligatorischen Referendums. Ausserdem prüft Freie Landschaft Schweiz das Ergreifen des fakultativen Referendums, um die Schweiz vor einem Kahlschlag beim Naturschutz zu bewahren.

Der Mantelerlass Strom will alle Hürden für den Bau aller geplanter Solar- und Windparks sowie für 16 grosse Wasserkraftwerke beseitigen. Bedroht werden einerseits unsere Wälder und die schönsten Landschaften der Schweiz, die mit bis zu 1‘500 Windturbinen verunstaltet würden. Andererseits sieht die Vorlage auch vor, Wasserkraftwerke vor Biotopen mit nationaler Bedeutung zu errichten, womit im Biotop selbst nur noch das Restwasser übrigbleibt. Darüber hinaus wird der Solarexpress mit dem Mantelerlass faktisch unbefristet verlängert.

Gegen sämtliche Projekte sind mit dem Mantelerlass alle Einsprachen künftig zwecklos – die Gerichte müssen die Stromproduktion über den Naturschutz und über alle anderen Interessen stellen (StromVG 9bis Abs. 2bis). Darüber hinaus darf auf jegliche Schutz-, Ersatz- und Wiederherstellungsmassnahmen zugunsten der Natur vollständig verzichtet werden (EnG 12 Abs. 3bis). Wind-, Solar- und Wasserkraftwerke dürfen neu in Landschaften von nationaler Bedeutung errichtet werden (dito). Dagegen sieht das Gesetz keine bessere Ausnutzung des Solarpotentials auf bestehenden Dächern vor.

„Der Mantelerlass Strom vernichtet den Schweizer Natur- und Landschaftsschutz“, sagt Elias Vogt, Präsident von Freie Landschaft Schweiz. „Unser Land ist vierzig Jahre zurückgeworfen. Die Biodiversitätskrise erreicht damit ihren Höhepunkt. Es ist eine Energiewende gegen die Natur.“

Im Parlament gab es keine nennenswerte Opposition gegen diesen Kahlschlag des Naturschutzes. Die Politiker aller Fraktionen überboten sich an der letzten Sitzung im Nationalrat mit gegenseitigem Lob und bezeichneten die Vorlage als „Meilenstein“ (Priska Wismer, Mitte), sie „berücksichtige Schutz- und Nutzinteressen“ (Nadine Masshardt, SP), sie sei „naturverträglich geblieben“ (Bastien Girod, Grüne), ausbalanciert zwischen Schutz und Nutzen (Susanne Vincenz, FDP), oder die „Umweltseite kann damit einigermassen Leben“ (Martin Bäumle, GLP).

Dass dies alles falsch ist, berichtigte Bundesrat Albert Rösti zum Schluss: „Die Güterabwägung zwischen Nutzen und Schutz ist gemacht. Das heisst, dass das nicht am Schluss die Gerichte machen müssen.» Oder mit anderen Worten: Der Naturschutz ist abgeschafft!

Die Umweltverbände (Pro Natura, Greenpeace, Birdlife etc.) nehmen derweilen nur noch eine beobachtende Haltung ein. Die Umweltallianz schreibt zwar, dass «in sogenannten Eignungsgebieten für Wind- und Freiflächen-Solaranlagen ein grundsätzlicher Vorrang vor allen anderen nationalen Interessen festgelegt» werde. Die Vorlage sei naturunverträglich und führe zu unvernünftigen Abstrichen beim Naturschutz. Die enge Verbindung zu den politischen Parteien, beispielsweise durch den Einsitz verschiedener Parlamentarier/innen in den Vorständen der grössten Umweltverbänden, führt allerdings nicht dazu, dass die Umweltverbände das Referendum ergreifen. Sondern künftig werde man nur noch «die Umsetzung der Vorlage genau mitverfolgen».

Freie Landschaft Schweiz und unsere  Mitglieder werden sich mit aller Entschlossenheit gegen die Vernichtung der Schweizer Biodiversität und Landschaft durch den Zubau industrieller Windkraftanlagen zur Wehr setzen, speziell in Wäldern sowie Landschaften von nationaler Bedeutung.

Kontakt: Elias Vogt, Präsident, elias.vogt@freie-landschaft.ch, 032 530 27 23